Tom und ich. Oh Boy. Das glaubt ihr nicht. Wir sind wie Mentos und Cola, wie Brausepulver mit Wodka, wie Feuer und Benzin. Tom und ich. Wie sagt ihr noch gleich? Das passt wie Arsch auf Eimer. Wir laufen durch die Straßen und Tom immer ein bisschen vor mir. Er ist so schnell, er fällt mehr, als dass er rennt. Eben hat Tom einem Typen vor Rewe, der so dumm geglotzt und sicher auch etwas gesagt hat, so dermaßen die Lichter ausgeschaltet, dass sein schwerer Körper auf den Asphalt geknallt war und dabei ein Geräusch gemacht hat, als wäre ein Sack Zement auf den Boden der sixtinischen Kapelle gefallen. Tom hatte Anlauf genommen, war gerannt – eigentlich geflogen, so ehrlich muss ich sein, aber das merkt ihr ja nie – und hatte seine Faust geballt in die Gesichtsknochen des Wichsers gedrückt. Ich habe die Zeit verlangsamt, ich wollte es mir genau anschauen. Stand also daneben mit den anderen. Mit der Frau, die Zeitungen verkaufte, mit den Jugendlichen, die dampften wie Lokomotiven, mit dem Hund, der angebunden kläffte und den ich sprechen ließ, der sagte, mach ihn kalt Tom, ich fress sein Herz, wenn es noch warm ist, Tom, darf ich? Ja, darf ich? Bitte, bitte, bitte!!! Dann wieder wau, wau, wau, weil er nervte. Toms Hand also zur Faust geballt. Traf die Wange. Ich hielt die Zeit an. Snapshot. Für einen kurzen Moment eine sanfte Berührung, dachte ich und sagte das. Tom, schau mal, wie du ihn berührst, es ist das Zärtlichste, was ich je gesehen habe. Tom rollte mit den Augen. Der Hund hatte die Zähne gefletscht, so ein kleiner war das, den man mit einem Tritt durch die Wolkendecke hätte schießen können. Richtig scharf die Zähne, dachte ich, als ich sie befühlte. Alle waren erschrocken, mit weit aufgerissenen Mündern, Zahnersatz hier, Zahnersatz da. Unfassbar langweilig irgendwie. Ich schaute ins Telefon des Typen, nahm es ihm aus der viel zu engen Ripped-Jeans. Hielt es vor sein Gesicht, Face-ID, Idiotenkacke. Uff, ne, zu armselig der Wurm. Darf ich jetzt bitte weitermachen, sagte Tom und ich ließ die Zeit laufen. Krawumms. Die Faust grub sich – wie gesagt – knirschend in sein Gesicht, Toms Knöchel platzten auf, kleine Hautfetzen flogen durch die Luft, Blutpartikel überall, Tom hatte übertrieben. Wie immer. Die automatische Schiebetür vom Rewe stand offen, weil der Typ so überall war. Blut klebte an den Adventskalendern vor den Kassen, rann an ihnen herunter, ich machte, dass es aussah, wie in einem Film. Close-Up. Musik dahinter. Hans Zimmer, kommst du mal. Hier ist dein Keyboard, du machst das jetzt hier wahnsinnig bedeutungsvoll, sonst setzt es was. Also jetzt die Szene nicht mehr so bedrohlich und angsteinflößend, wie sie gerade noch war, weil sie ECHT war. Mit Musik hinterlegt und den Close-Ups und der verlangsamten Zeit nun also ein KUNSTWERK. Ok. Der Typ blieb aber dennoch liegen. Tom lachte höhnisch, wie er es immer tat. Nichts bedeutete ihm etwas. Sirenen kamen von überall, mist, ich hatte die Zeit nur vor dem Rewe angehalten, aber nicht bei dem Opa hinter dem Fenster, mit dem Kissen, auf das er seine Ellenbogen legt und darauf wartet, dass genau so etwas passieren würde. Er hatte auf der Kurzwahltaste seines Festnetz-Telefons tatsächlich die Nummer der Polizei, bemerkte ich, als ich nachschaute. Da kommen sie also, die Bullen, die Schweine, machte ich irgendwen nach. Tom, sagte ich. Lass mal abhauen und Tom nickte und lief, wie gesagt, er fiel eher, als dass er rannte. Er fällt eher, als dass er rennt. Wir nun also auf der Flucht. Die Bullen versuchen uns mit quietschenden Reifen den Weg zu versperren. Tom springt hoch, fliegt drüber, ein Schritt auf das Autodach, drinnen kracht es, wie die schauen, es ist der Wahnsinn! Dann Schüsse laut in der Luft und ich wieder das Ding mit der Zeit, die Kugeln also, sie kriechen auf uns zu, sind heiß und Qualm steigt auf aus den Pistolen. Es reicht Tom und mir. Wir nehmen Anlauf, mit großen Schritten, wie beim Weitspringen katapultieren wir uns in die Luft und nach dem letzten großen Satz legen wir uns in sie und gleiten davon, wir fliegen, das glaubt ihr mir nicht, aber wir fliegen. Staunen. Oh und Ah. Lass mal richtig abhauen, sagt Tom und wir schrauben uns in die Höhe, bis es komplett finster wird. Irgendwann schließlich unter unseren Füßen feiner Staub. Farbenfroh, friedlich. Wie wunderschön es ist, sagen wir in unison. Wir setzen uns auf eine Bank. Riesengroße Libellen schwirren durch kribbelnde Luft. Mindestens fünf Monde über dem Horizont. Der Himmel sorglos, das Licht leicht. Tom streicht sanft über meine Hand, fährt einzeln die Finger ab, berührt mein Gesicht, berührt die feine Haut unter meinen Augen, fährt mit den Fingern über die leicht geöffneten Lippen meines Mundes. Eine saftige Träne verlässt mein Auge. Wir atmen im gleichen Rhythmus. Unsere Herzen sind eins. Tom verlässt die Form. Tom lässt es gut sein. Wir atmen aus. Oh, bevor ich es vergesse; mache, dass die Zeit rückwärtsläuft, dass der Typ aufsteht, dass Tom und ich irgendwo anders sind, wo wir zur Abwechslung mal etwas Schönes machen, ein Eis essen oder das Nilpferd aus dem Berliner Zoo befreien oder so.